Abschrift: Ostseezeitung 2002

Der Kindheit auf der Spur

Eberhard Malwitz zeichnet Dinge, die es nicht mehr gibt
 

Eberhard Malwitz wuchs in Zirkow auf und verließ mit 18 die Insel. Der heute 64-jährige Ingenieur und Künstler zeichnet Kindheitserinnerungen – Dinge, die es heute nicht mehr gibt.

Zirkow (OZ) Eberhard Malwitz zeichnet gegenständlich, doch er zeichnet Dinge, die es nicht gibt. Der weißhaarige Mann hält Motive aus seiner Kindheit fest, die heute nicht mehr existieren. Die ehemalige Zirkower Sand- und Kiesgrube zum Beispiel, die Schmiede im Dorf, eine Dreschmaschine oder die Dorfjugend beim Baden. Malwitz ist in Zirkow aufgewachsen. Seine Kindheit hat sich ihm als wunderschön und erlebnisreich eingeprägt.
Auch heute, meint der 64-Jährige, der seit über 40 Jahren in Süddeutschland lebt, sei Rügen noch immer seine Heimat. „Es war eine sehr glückliche und kreative Zeit“, erinnert er sich an früher. Der Not war es, die die Jungs und Mädchen im Dorf unglaublich erfinderisch gemacht habe. Von selbst gebastelten Spielzeugautos erzählt der sportlich wirkende Mann oder von Fahrradschläuchen, die eigentlich alte Feuerwehrschläuche waren. Alle Fahrräder wurden selbst zusammengeschraubt. Wenn etwas nicht passte oder ein Metallteil fehlte, wusste der Dorfschmied Rat. Der war der wichtigste Mann für die bastelnde Dorfjugend. Auch eine frühe Form des Strandseglers hat Malwitz per Bleistiftzeichnung festgehalten. Die Konstruktion aus Tuch und Holz wurde am Fahrradlenker angebracht und sollte ordentlich Fahrt bringen. Ob's was gebracht hat?

“Nicht besonders, glaube ich”, lacht der Künstler.
Kann sein, dass er seine Kindheit und den Mangel idealisiert, räumt Malwitz ein. Doch seine Zeichnungen haben auch die dunklen Seiten seiner Jugendzeit zum Thema. Eine Frau, die von einem Russen auf Bahngleise gestoßen wurde, ist darauf zu sehen, eine “Dorfhexe”, vor der er Angst hatte, oder eine karge Kammer, in der seine Mutter, Schwester und er ihren ersten Heiligabend nach der Flucht aus Stettin in Zirkow verbrachten – ohne Geschenke.
Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr lebte Malwitz auf Rügen. Die letzten beiden Jahre verbrachte er im Internat der Oberschule in Binz. Schon damals wollte Eberhard Malwitz Maler werden. Auch sein damaliger Lehrer riet ihm zum Kunststudium. Doch die Eltern wollten es anders. “In der Nachkriegszeit zählte vor allem Sicherheit.” Nach der mittleren Reife ging er von Berlin aus „rüber“, wo bereits sein Vater war. Im bayerischen Landsberg lernte er Maschinenschlosser, absolvierte in München ein Ingenieursstudium und heiratete, noch bevor er dieses abgeschlossen hatte. 1970 gründete er mit Kollegen ein physikalisches Forschungsinstitut, die Gesellschaft für Schwerionen-Forschung (GSI), in Darmstadt, wo er bis 1999 arbeitete. Seiner künstlerischen Leidenschaft ist er in all den Jahren treu geblieben. Er besuchte Sommerakademien, unternahm Malreisen und studierte an der Abendschule noch einmal Kunst und stellt seit 1971 regelmäßig aus. Ungefähr 800 Werke hat er geschaffen: Skulpturen, Aquarelle, Tusche-Feder-Zeichnungen und Acrylbilder. “Heute weiß ich, dass ich es auch als Maler geschafft hätte”, meint er, doch scheint er nicht mit der Vergangenheit zu hadern.
Seine Zirkow-Bilder entstehen alle aus dem Gedächtnis. Natürlich könne er nicht genau die Bäume abzählen, die damals irgendwo standen. Er fange einfach die Atmosphäre von damals ein. Von seiner Schwester und alten Freunden lässt er sich bestätigen, dass es wirklich so aussah. Nach der Flucht in den Westen hatte Malwitz lange keinen Zeit Kontakt mehr zu seinen Freunden auf Rügen. Zu seinem Bedauern. Die Briefe blieben, aus Angst vor der staatlichen Kontrolle, oberflächlich. “Man konnte nicht das sagen, was man sagen wollte.” Erst 1980 machte er zum ersten Mal Urlaub auf Rügen. “Die Menschen hier sind herzlicher geblieben”, war und ist sein Eindruck. Das habe auch mit dem Mangel zu tun, der in der DDR herrschte,
glaubt er. Man war auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Alle drei Jahre macht Malwitz inzwischen mit seiner Frau Urlaub auf der Insel. Er fährt herum und besucht Bekannte. Diesmal gab es sogar einen besonderen Anlass: die goldene Konfirmation in Zirkow, bei der er auch wieder Freunde aus seinen Kindertagen sehen konnte.

PETRA KOSLOWSKI
Letzte Aktualisierung:
Donnerstag, 4. April 2002
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Boote auf Ruegen Aquarelle und Zeichnungen von Eberhard Malwitz sind an morgen im Zirkower Museumshof zu sehen      Repro: OZ

Erinnerung an Kindheit in Zirkow

Zeichnungen und Aquarelle sowie ein Buch stellt Eberhard Malwitz den Besuchern des Zirkower Museumhofes ab morgen vor. Bis zum Oktober sind seine Arbeiten dienstags bis sonnabends jeweils in der Zeit von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Sein

Buch “Donnerkeile” enthält 44 Zeichnungen und schildert in einer Erzählform die ersten Lebensjahre eines Kindes, das auf Rügen aufwächst. Autobiografische Züge sind nicht von ungefähr: Malwitz verbrachte seine Kindheit in dem Dorf.