Vom „Äußeren Bild“ und „Inneren Bild“

Aufsatz von Eberhard Malwitz, Mai 2001

Warum malen so viele Menschen eigentlich?
Vorweggenommen: Ich behaupte, wenn sie malen, so malen sie stets ihre „Inneren Bilder“ – fast immer.

Zunächst zum „Äußeren Bild“:
Jemand irrt mit seiner Kamera in der Natur umher. Man sagt, er sucht nach einem Motiv. In Wahrheit sucht er nach einem „Äußeren Bild“, das mit seinem „Inneren Bild“ möglichst gut übereinstimmt.
Mit der Kamera hat man natürlich nicht die Möglichkeit, während der Aufnahme noch etwas hinzuzufügen oder wegzulassen, im Gegensatz beim Malen. Der Maler sucht ebenfalls nach einem Motiv, das mit seinem „Inneren Bild“ übereinstimmt. Er kann jedoch das Motiv entsprechend seiner Vorstellung beliebig verändern. Ein Maler, der sich Künstler nennen darf, macht davon auch regen Gebrauch. Manche kopieren das Motiv allerdings in schamloser Weise und sind sozusagen als manuelle Fotoapparate zu verstehen.

Ich möchte ein „Inneres Bild“ nicht nur als eine visuelle Vorstellung verstanden wissen, sondern als eine ideale Vorstellung von irgendetwas. Die Vorstellung muss nicht nur visuell sein, sondern kann auch akustisch, ein abstraktes Gedankenmodell zu einem bestimmten Thema usw. sein. Auch ein Komponist folgt letztendlich seiner inneren Klangwelt beim Komponieren und nicht allein den akustischen Eindrücken aus der Umwelt.
Was beabsichtigen eigentlich Redner hinterm Podium, etwa Politiker, die ehrlich vor einem Publikum ihre Ansicht vertreten? Sie tun doch nichts anderes als die Maler und Komponisten. Sie holen ihre Vorstellungen, ihre „Inneren Bilder“ hervor, um das Publikum davon zu überzeugen. Schlechte Politiker zeichnen nur „Äußere Bilder“. Sie sagen, was das Publikum gerne hört wie schlechte Maler, die ihre Malerei statt an ihren persönlichen „Inneren Bildern“ an den Wünschen von durchschnittlichen Kunstkonsumenten ausrichten. Genau genommen malen sie die „Inneren Bilder“ dieser Kunstkonsumenten.
Maler stellen von Zeit zu Zeit ihre Bilder aus. Es findet eine Vernissage statt. Die Bilder hängen geordnet nach Inhalt und Größe an weißen Wänden und werden möglichst repräsentativ einem Publikum dargeboten.
Ein Konzert, bei dem die Werke eines bestimmten Künstlers gespielt werden, ist letztlich nichts anderes als eine Vernissage, sozusagen eine musikalische Vernissage. Statt der „Inneren Bilder“ eines Malers werden die inneren Klangbilder des Komponisten fein säuberlich geordnet, mit Pausen dazwischen, einem Publikum dargeboten.
Auch der Schriftsteller macht nichts anderes. Er legt sein „Inneres Bild“ in einem Buch schriftlich nieder. Wer viele Bücher eines bestimmten Schriftstellers gelesen hat, hat gewissermaßen eine Vernissage dieses Künstlers erlebt.
Alle Menschen sind permanent bemüht, ihre Vorstellungen, ihre „Inneren Bilder“ anderen nahezubringen. Ich möchte soweit gehen und behaupten, dass bereits bei ... mehr: